Hard Boiled Wonderland: Was wir hier hören ist großartig, anstrengend, faszinierend und gibt mir keine Chance, auch nur 30 Sekunden abzuschalten. Was kann man besseres sagen über Kunst?
Im Vorfeld dieses Abends rief Sebastian Gramss mich an und sagte: «Ich kann nicht mehr einfach nur Musik machen, wir müssen uns artikulieren zu dem, was in der Welt passiert.»
Setzt man sich dem Wahnsinn der Welt aus, kann man verrückt werden, verzweifeln. Wer heute nicht verzweifelt, ist ein Vollidiot. Und was in diesem Projekt zur Disposition gestellt wird, wäre
einige Generationen vor uns nicht verstanden worden, weil sich der Blick auf die Welt komplett verändert hat. Mein Vater zum Beispiel ist aufgewachsen mit dem Horizont von nur drei Dörfern – da hat
seine Welt aufgehört.
Wir dagegen sind die erste Versuchsgeneration, die in Echtzeit mitbekommt was überall passiert: Brennt in Bangladesch eine Textilfabrik, kriegen wir es mit. Ertrinken Menschen im Mittelmeer, geschieht ein Unglück in einer Mine in Bolivien… kriegen wir es mit. Wie will man da nicht verrückt werden?
Diese Zusammenschau von krassen Krisen und Fehlentwicklungen in der Welt scheint nicht zu erlauben, dass es so etwas gibt wie einen Notausgang. Oder hoffnungsvoller: So etwas wie eine Morgenröte.
Spätestens seit der französischen Revolution haben alle Generationen immer mit dem Gefühl gelebt, dass es ein besseres Morgen geben kann: Wir können dafür kämpfen und haben die soziale Fantasie, wie man eine bessere Welt schafft. Das scheint total verflogen zu sein. Diese Verdichtung negativer Ereignisse birgt die Gefahr, dass man keine Idee mehr hat, wie man den Knoten gelöst bekommt. Oder, wie es im Text heißt: «Ich mach lieber was im Garten!»
Die Frage ist: Wer hat hier noch irgendeine Verantwortung? Und doch denke ich, dass im Moment auch sehr viel Gutes passiert – wie sich das zusammen fügt, wissen wir noch nicht. Mein Vorschlag ist: Suche nicht nach der «Mega Vision», die alle Probleme schlagartig löst. Umarme deine Ratlosigkeit. Umgib dich mit denen, die ähnlich denken. Fang an, den ersten Schritt zu gehen. Dann wirst du eine Idee davon bekommen, was der zweite Schritt ist.
Jürgen Wiebicke (DLF / WDR5 / Das Philosophische Radio)
«Was hatte der denn nachts noch auf der Strasse zu suchen?»
Dieser zynische Kommentar zu dem gewaltsamen Tod des algerischen Asylbewerbers Farid Guendoul stammt vom Bürgermeister des kleinen Ortes Spremberg, nachdem im benachbarten Ort Guben eine nächtliche Nazi-Hetzjagd für den 28-jährigen brutalst endete.
Dieser Satz war ein Ausgangspunkt für dieses Projekt. Für jeden halbwegs wachen Menschen -also auch für uns Musiker und Künstler- wird es täglich klarer: Wir wollen, können, müssen gesellschaftlich Stellung beziehen und unsere Komfortzone, das Sofa, den Elfenbeinturm verlassen. Jede und jeder auf ihre/seine Weise. Irgendwie und Irgendwo. Irgendwann wäre zu spät.
Sebastian Gramss im August 2021
Besetzung
Tamara Lukasheva (Ukraine) – Gesang, Stimme
Mariana Sadovska (Ukraine) – Gesang, Stimme
Maximilian Hilbrand (Austria) – Gesang, Stimme
Theresia Philipp – Saxophon, Flöten
Lucas Leidinger – Piano, Keyboards
Thomas Sauerborn – Schlagzeug
Christian Lorenzen – Keyboards, Moog
Sebastian Gramss – Kontrabass
Rodrigo López Klingenfuss (Argentina) – Gitarre, Chor-Dirigat
Special Guests:
Sumudi Suraweera (Sri Lanka) – Schlagzeug, Stimme
Helen Svoboda (Australia) – Kontrabass, Gesang, Stimme
Chor «Les Saxosythes»:
Beate Pohl, Ulrike Rosner, Ute Almoneit, Maria Gorius,
Beate Bonnen, Martina Gassmann, Bettina Benninghoven,
Claudia Tramm, Christa Reckers, Jane Dunker,
Karl Thomas Kaumanns, Beni von Alemann, Dietmar Bonnen
Leitung: Rodrigo López Klingenfuss
Konzept/Leitung: Sebastian Gramss
Dramaturgische Beratung: Jörg Fürst
Live-Moderation: Jürgen Wiebicke
Produced by
Sebastian Gramss, Maximilian Hilbrand, UK Rattay und Ana Lakcevic
Livesound: Markus Hausmann
Aufnahme: Jürgen Müller
Mix: Jürgen Müller – Pink-Noise
Master: Reinhard Kobialka/Topaz
Photos by Peter Tümmers, Heike Specht and HyouVielz
Layout/Typographie: Sandra Opiela Gestaltung
Cover-Design: Joanna Broda
and the sponsors:
NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste e.V.,
Musikfond,
Kulturamt der Stadt Köln,
Stadt Bonn,
Kunststiftung NRW,
MKW des Landes NRW,
Goethe Institut
Publikumsdiskussion gefördert von der
BPB – Bundeszentrale für politische Bildung
Florian’s Klimablog

„Was hatte der denn nachts noch auf der Strasse zu suchen“


„Homo Suicidus“

„Wald ernten“




